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Die Schweizer Remo AG* ist seit über 40 Jahren erfolgreich in ihrem Segment in Europa Marktführer und weltweit präsent. Bei über 700 Mitarbeitern ist die familiengeführte Unternehmung zwar noch eine KMU, dennoch ist es eine Herausforderung, die Organisation so zu strukturieren, dass sie für die Zukunft gerüstet ist. Der Eigentümer Ottmar R., ein leidenschaftlicher Bergsteiger, stürzte an einem Sonntag im Winter vor 5 Jahren ab und überlebte schwer verletzt. Es gab zwar einen sog. Notfallplan, aber die Führungsfrage war nicht geklärt. Noch vom Krankenbett aus beschloss er seinen Produktionsleiter zum CEO und Vorstandssprecher und die vorigen Abteilungsleiter zu Ressort Vorständen zu ernennen. Er selbst wollte sich, falls es die Gesundheit überhaupt zuließ, auf die Tätigkeit im Verwaltungsrat zurückziehen. Zeitgleich war vorgesehen, dass zwei Familienmitglieder ebenfalls operative Führung übernehmen sollten, was die Anzahl der Vorstände auf fünf erhöhte. Der frisch gekürte CEO versuchte seine ehemaligen Kollegen als Team hinter sich zu bringen, was ihm aber nicht gelang. Das Marktumfeld begann etwas härter zu werden, neue Konkurrenten drängten in den lukrativen Markt und die Vorstände diskutierten in endlosen Meetings, was wohl die geeignete Strategie wäre, die Marktführerschaft zu verteidigen und in neuen Geschäftsfeldern zu wachsen.

Die erarbeiteten strategischen Stossrichtungen entsprachen gar nicht den Vorstellungen des Verwaltungsratspräsidenten, der nicht nur eine grundlegende Überarbeitung der Strategie verlangte, sondern begann, sich an allen entscheidenden Stellen – außer im Vorstand selbst – wieder persönlich einzubringen. Für die Organisation war klar, der Chef ist wieder zurück, obgleich er klar kommunizierte, dass er seinem Vorstand vertraue und sich nur beratend einbringen wolle. Tatsache war – denn die Mitarbeitenden waren es so gewohnt – dass Ottmar R. alles alleine entschied. Der somit zahnlose Vorstand begann sich mit sich selbst zu beschäftigen und die politischen Machtspiele – auch unter den beiden Familienmitgliedern, die neu hinzukamen – nahmen Überhand.

Der Eigentümer beschloss die Situation zu entschärfen und entsandte seinen Produktionsleiter nach China, der dort ein neues Werk aufbauen und leiten sollte. Zeitgleich beendete er den Zwist zwischen den beiden Familienmitgliedern, indem er sich für seinen Sohn als Nachfolger entschied und seinen Neffen in den Verwaltungsrat „beförderte“.

Es schien, als ob das Führungsthema gelöst sei und man sich wieder auf den Markt konzentrieren könnte. Vater und Sohn vereinbarten eine Übergangszeit von 2 Jahren, was dem Eigentümer die Möglichkeit gegeben hätte, sukzessive loszulassen und dem Sohn, Schritt für Schritt in die neue Rolle hineinzuwachsen. Rein theoretisch eine gute Lösung, in unserem Fallbeispiel leider schlecht umgesetzt, denn Ottmar R. fiel ganz in sein Patron Verhalten vor seinem Unfall zurück: keinem außer sich selbst vertrauend zog er die komplette Verantwortung an sich und traf Entscheidungen, die sein Sohn und der gesamte Vorstand als höchstkritisch beurteilten. Alle versuchten im Hintergrund die größten Fehler auszubügeln, aber Ottmar R. ließ keinen Zweifel daran, wer der Chef sei. Die Übergangszeit von 2 Jahren verging wie im Fluge und anlässlich des 75. Geburtstages des Patrons, war geplant, mit der gesamten Mannschaft die offizielle Stabsübergabe zu feiern.

Ein paar Wochen vor seinem Geburtstag eröffnete ihm sein Sohn, dass er denke, die Führung und Rolle des zukünftigen CEO besser in externe Hände zu legen, denn er hätte – insbesondere aufgrund der familiären Bindung – nicht die Kraft und den Mut, sich aus seinem Schatten zu lösen und hätte darüber hinaus auch den Glauben daran verloren, dass sich der Vater tatsächlich zurückziehen würde.

Für beide eine riesige Enttäuschung!

Leider ist dies kein Einzelfall und ich erkenne immer wieder folgende Muster:

Muster N°1

Es gibt keinen Notfallplan, d.h. es ist kein potentieller Nachfolger aus den eigenen Reihen aufgebaut. Ob dies nun ein geeigneter Mitarbeiter oder ein Familienmitglied ist, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass sie oder er das vollständige Vertrauen des Eigentümers hat. Im o.g. Fall war die Besetzung eine „Notlösung“, aber das Vertrauen fehlte zur Gänze. Es gab kein Konzept zur Führungskräfteentwicklung und Führungsgespräche wurden, wenn überhaupt, oberflächlich geführt.

Muster N°2

Es gibt niemanden, der dem Eigentümer offen und ehrlich die Meinung sagt. Nach 40 Jahren „Alleinherrschaft“ mit Rückenwind vom Markt, haben sich Verhaltensweisen eingeschlichen, die ein Vakuum zwischen dem Chef und seiner Organisation entstehen ließen. Wenn hinter vorgehaltener Hand über den Chef gesprochen wird, was er wieder für eine „Fehlentscheidung“ getroffen hätte oder man sich gar über ihn lustig macht, sind das sehr ernste Anzeichen. Wenn dann nicht einmal die Familienmitglieder offene Worte finden oder der Patron diese einfach von Tisch wischt, wird es kritisch. Gute Mitarbeiter erkennen, dass sie in diesem Vakuum nicht wachsen können und verlassen das Unternehmen.

Muster N°3

Der Eigentümer kann nicht loslassen und lässt sich in dieser Phase seines Lebens nicht begleiten. In unserem Fall gelang es auch dem Sohn nicht, seinen Vater davon zu überzeugen, ihm Raum zu geben. Es ist darüber hinaus auch mehr als verständlich, dem eigenen Vater sein Lebenswerk nicht wegnehmen zu wollen und es stellt ein emotionales Dilemma dar, wenn man fachlich komplett anderer Meinung ist, aber den Großvater der Kinder nicht verärgern möchte. Daher war es in diesem Falle tatsächlich das Beste, die Nachfolge extern zu organisieren.

Muster N°4

Natürlich ist Blut dicker als Wasser, aber wenn Hoffnung die für die Führung erforderliche Kompetenz und Unternehmerpersönlichkeit ersetzt, wird es ebenfalls kritisch. Im Falle einer externen Besetzung werden die Kandidaten eher durch geeignete Berater auf Herz und Nieren geprüft, was bei Familienmitgliedern leider oft „vergessen“ wird.

Es würden sich sicherlich noch mehr Muster finden lassen, deren Erkenntnisse schon einen Beitrag leisten könnten, das Thema der Nachfolge ohne Kollateralschäden zu lösen. Diese ließen sich vermeiden, wenn an allererster Stelle das „Abholen“ des abzugebenden Eigentümers stünde. Es braucht eben nicht nur einen Stufenplan, wann was durch wen ersetzt wird, sondern die grundlegende Bereitschaft zu erkennen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sich zu trennen, loszulassen, zu vertrauen und sich auf Tätigkeiten zu konzentrieren, die einem auch Freude bereiten und wo man vor allem noch einen sinnvollen Beitrag leisten kann. Doch woher soll diese Bereitschaft kommen? Kognitiv ist das jedem Patron klar und schließlich hat man bisher auch alles alleine regeln können…

Aus der Hirnforschung wissen wir, dass Verhaltensänderung nur dann stattfindet, wenn die angestrebte Veränderung eine wesentlich größere Belohnung verspricht, als das Festhalten am Gewohnten.

Genau da setze ich als begleitender Coach an – an der Emotionalität, dem Verhalten und dem Befinden.

In der Zwischenzeit sind 3 Jahre vergangen, zwei externe CEO’s haben entnervt aufgeben und die Unternehmung ist kürzlich an den grössten Wettbewerber verkauft worden – leider zu einem deutlich niedrigeren Preis, als zu Beginn dieser „Geschichte“ erzielbar gewesen wäre.

* der Name ist aus Gründen zur Wahrung der Anonymität abgeändert

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